Benjamin Quaderer – Für immer die Alpen

Die Hauptfigur in diesem Debütroman von Benjamin Quaderer stammt aus einfachen Verhältnissen in Liechtenstein und ist als Waise im Heim erzogen worden. Doch verfügt er über die Fähigkeit, sich wie instinktiv auf andere Menschen einzustellen und sie dadurch – zumindest vorübergehend – zu täuschen und für sich einzunehmen. Seine Lebensgeschichte wird erzählt, die von skurilen Wendungen nur so strotzt.

Durch seine Fähigkeiten als Hochstapler steigt er auf zum weltläufigen Großbürger, der sogar von der Fürstin selbst protegiert wird. Er macht Geschäfte mit Unternehmern, die sich, als sie merken, dass er sie übervorteilt hat, an ihm rächen. Als Mitarbeiter einer Bank in Liechtenstein hat er Steuerdaten von Kunden der Bank an den BND verkauft und damit ein Vermögen gemacht.

Der Autor verwendet allerlei Spielereien, die die normale Erzählform eines Romans auflösen, wie Schwärzungen und parallel erzählte Perpektiven, die ganz amüsant, aber zum Teil auch etwas ermüdend sind und deren Sinn sich mir nicht immer erschlossen hat.

Ein unterhaltsamer Roman mit einigen Längen.

30.4.20

Ulla Lenze – Der Empfänger

Josef Klein ist ein Deutscher im New York während des zweiten Weltkriegs. Er schlägt sich mit einfachen Jobs durch und gerät – eher durch Zufall – in Kontakt mit einer Subkultur von Nazis, die ihn einspannen in kleinteilige Spionagetätigkeiten, deren Details aber nie so richtig klar werden, so dass die ganze Geschichte etwa seltsam wirkt. Auf jeden Fall erscheint es dadurch glaubwürdig, dass die Hauptfigur gar nicht auf Spionage zielte, als er sich bereit erklärte, als Funker für die Landsleute aktiv zu werden. Die Neugier und Freude an der Technik scheint die erste Motivation zu sein.

Die Spionage steht auch im Widerspruch zu seiner Affäre mit Lauren, einer jungen Amerikanerin, die von seiner Nebentätigkeit zunächst nichts ahnt.

Dennoch gerät Klein ins Visier der amerikanische Sicherheitskräfte und wird wegen Spionage verurteilt. Nach der Haft kehrt er zurück nach Deutschland und wird von seinem Bruder und dessen Familie aufgenommen, was jedoch nicht ohne Spannungen bleibt. Letzlich wandert er nach Argentinien aus und trifft dort wieder auf eine ähnliche Subkultur von unverbesserlichen Deutschen, wie er sie bereits in New York kennengelernt hatte.

Die Geschichte wird nicht chronologisch aus der Perspektive des Josef Klein erzählt. Ein gut geschriebener und spannender Roman.

10.4.20

Colson Whitehead – Die Nickel Boys

Sehr bewegend und sehr gut geschrieben. In Florida ist Elwood, ein junger Schwarzer, auf dem Weg zu seinem ersten Tag am College. Beim Trampen wird er von einem anderen Schwarzen mitgenommen. Bei einer Polizeikontrolle stellt sich heraus, dass der Wagen gestohlen ist. Elwood landet in einer Besserungsanstalt, die Nickel Academy. Der Roman beschreibt die unmenschlichen Zustände in dieser Anstalt noch in den sechziger Jahren.

28.2.20

Angela Lehner – Vater Unser

Es ist die Geschichte einer jungen Frau, Eva Gruber, die mit der Behauptung, sie habe eine Gruppe von Kindergartenkindern getötet, von der Polizei aufgegriffen und in die Psychiatrie gebracht wird. Dort ist ihr Bruder – Bernhard – bereits in Behandlung und sie selbst wird von Dr. Korb behandelt. Die erste Hälfte liest sich sehr gut und ist immer wieder lustig und überraschend. In der zweiten Hälfte wird dann nach und nach das ganze Drama der Familie sichtbar. Vorgeblich versucht Eva ihren Bruder zu beschützen. Tatsächlich jedoch schmiedet sie einen Komplott, um den Vater zu töten, der vor Jahren die Familie verlassen und seitdem vernachlässigt hat. Für Eva erscheint es so als führe er mit einer anderen Frau ein besseres Leben.

15.3.20

Monika Helfer – Die Bagage

Ein schönes Buch, das man mit Muße lesen muss. Der Schreibstil erfordert Konzentration, ist aber immer eindringlich und geht menschlich nahe. Es beschreibt die Geschichte der Großmutter der Autorin, Maria, deren Mann Josef in den ersten Weltkrieg ziehen musste und sie mit drei Kindern allein lässt. Maria ist eine auffällig schöne Frau und begegnet einem anderen Mann, als der Bürgermeister, der eigentlich vom Mann beauftragt wurde, auf sie aufzupassen, sie mitnimmt zu einer Fahrt in einem benachbarten Ort auf den Markt. Dieser Mann scheint ihr näher zu kommen und als ein Kind geboren wird – Margarete, die Mutter der Autorin – ist nicht ganz klar, ob dieser Mann der Vater ist. Josef richtet niemals ein Wort an Margarete und ignoriert sie vollkommen. Die Familie zerbricht darüber, obwohl noch drei weitere Kinder geboren werden. Die Sieben Kinder werden nach dem Tod von Vater und Mutter im Dorf „Die Bagage“ genannt.

Bewegende Geschichte und eindringliche Erzählung. Dieses Buch lässt niemanden kalt.

16.3.20 – 27.3.20

Leif Randt – Allegro Pastell

Das Buch wird in den Rezensionen sehr unterschiedlich bewertet. Das ist auf jeden Fall ein Hinweis darauf, dass es kein gewöhnliches Buch ist. Mal sehen.

„Strukturell war das sporadische Mitarbeiten in Betrieben aber schwer zu realisieren – ein Unstand, der aus Jeromes Sicht gegen das gegenwärtige Wirtschaftssystem sprach. Viel mehr Menschen sollten viel mehr verschiedene Dinge tun, fand er, der Staat könnte Jahresverträge für ungewohnte Tätigkeiten ausstellen, sodass jeder Bürger die Möglichkeit bekäme, sich in zyklisch wechselnden Arbeitsumfeldern immer neu kennenzulernen, mit Berührungpunkten zu allen Gesellschaftsteilen. Neue Impulse wären bis ins hohe Alter garantiert, lebenslanges Lernen, gleiche Bezahlung für alle, vier Tage Wochenende. Wer reich werden wollte, könnte die langen Wochenenden nutzen, um eine Bonuskarriere voranzutreiben, alle anderen würden sich privat verwirklichen – in Beziehungen, in der Kunst, im Gaming, im Sport.“
(S.56)

Die Idee gefällt mir. Erstaunlich ist für mich aber nicht so sehr die Idee an sich, sondern die schnörkellose Art, sie in wenigen Sätzen zu formulieren. Dadurch wirkt das Buch – nein, wirken die Hauptpersonen der Geschichte, immer sehr reflektiert und kontrolliert und das auch dann, wenn es um persönliche Befindlichkeiten geht. Ein Fest für den Psychologen in mir. Noch ein Beispiel:

„Jerome Baby, ich glaube dein Staat würde uns alle zu besseren Menschen machen. Aber ich muss zugeben, dass ich keinen anderen Beruf ausprobieren möchte als den, den ich habe. Ich bin sehr in den Eigensinn hinein sozialisiert worden. Und die Erfahrung zeigt, dass ich für andere nur erträglich bin, wenn ich ausschließlich das tue, was ich mag.“
S.58

Was wie eine Liebesgeschichte anfängt, stellt sich später fast schon als Milieustudie heraus. Die beiden Hauptakteure bleiben immer kontrolliert und reflektiert. Es ist als kuratieren sie ihr eigenes Leben. Darüber werden sie zu Gefangenen des angestrebten Images. Sie wirken wie Abziehbilder der Generation Instagram. Dennoch kann man nicht sagen, sie wären oberflächlich, im Gegenteil sind sie sehr aufmerksam in Bezug auf die eigenen Befindlichkeiten und die des jeweils anderen.

Die Beziehung der beiden hat Höhen und Tiefen. Sie trennen sich und kommen wieder zusammen. Eine dauerhafte Bindung entsteht nicht, obwohl eine große Vertrautheit zu bestehen scheint. Als eine weitere Person in das Leben von Jerome tritt, eine Person, die eigentlich schon sehr viel länger da war, nimmt die Geschichte eine unerwartete Wendung.

28.3.20 – 3.4.20